Moin.
Ich verfolge diese Debatte hier mit großer Aufmerksamkeit, weil sie inhaltlich doch sehr dem "Was Geht"-Thread gleicht, was die Kritikpunkte betrifft - dort halt explizit die RS betreffend.
Ich habe mich an die Eigenheiten meiner RS gewöhnt, habe nur etwa 15.000 Kilometer dafür mit ihr fahren müssen.
Zurück blickend, war das immer eine Love-Hate-Angelegenheit und manchmal einfach nur von der Tagesform abhängig. Aber eines war mir in der ersten Zeit nicht so recht klar, nämlich, was die CB 1100 eigentlich ist, bzw. was sie vermitteln und darstellen soll.
Es stand wohl im Lastenheft der Ingenieure übersetzt in etwa Folgendes: Kreiert zum Fuffzigsten der 750er Four ein schön anzusehendes Jubiläumsbike, das den Zeitgeist und die Tugenden dieses weltweit mythologisierten UJM transportiert, unter Beachtung der heutigen Sicherheits- und Fertigungsstandards. Baut den geschmeidigsten luft-öl-gekühlten Big Four, den ihr hinbekommt, funktioniert eine alte Panzersperre zum Rahmen um, zieht ihr ein hübsches Kleidchen an, spart um Gottes Willen nicht am Lack und an Metall! Würdigt eine Ikone! Und ach ja, so einigermaßen gut fahren muss sie auch noch!
... Für nen Japaner-Ing. klang das wohl eindeutig: Hai! einfach stricken! Aber diese "Einfachheit" zelebrieren, Kraft und Eleganz, Präsenz und Optik, Einsatzzweck und potenzielle Kundschaft nicht nur in ein Gleichgewicht, sondern vielmehr in harmonischen Einklang bringen.
Soll heißen, alles, was die Japan Ings. mit der CB 1100 NICHT gemacht haben, hat seine tieferen und wohl überlegte Gründe. Das ist eine Mentalitätsfrage, würde ich sagen, und diese CB war und ist nie für den europäischen/amerikanischen Markt konzipiert worden - ich glaube nicht, dass dieser Gedanke eine große Rolle gespielt hat. Es war zunächst und in erster Linie ein japanisches Bike für Japaner. Man schaue sich die alte CB-Werbung einmal genauer an. Oder auch die Trailer zur 2020er W800 von Kawasaki - transportiert denselben Spirit.
Und dann komme ich daher und versuche dieses Motorrad aufgrund seiner technischen Spezifikationen einzusortieren. Ich schaue mir die Komponenten an und denke, dass kann sie, das muss sie können, von der Leistung her, vom Fahrwerk, Bremserei etc., und bin zunächst erstaunt, dann verärgert, schließlich ratlos, denn der Bock will partout nicht das tun, was ich ihm abverlange. Erst, nachdem ich meine Anforderungen nach und nach zurückschraube, bekomme ich ebenso pö a pö wieder "etwas" zurück, und mit dem Verständnis steigert sich auf wieder die Freude am Fahren.
Unterm Strich bleibt jedoch der eine oder andere Kritikpunkt bestehen. Einiges könnte ich u.U. beheben, aber im Augenblick ist mir das der Mühe nicht wert. Was mich wirklich stört, ist das Gefühl von Instabilität in gewissen Momenten, bei Fahrmanövern mit höherer Geschwindigkeit in Schräglage, das Aufstellmoment, die eher miese Aoerodynamik und - seltsamerweise - der Eindruck von Disconnection mit dem Vorderrad, nachdem ein neuer Reifen aufgezogen wurde. Was natürlich auch am Reifen liegen mag.
Fast alles, was ich persönlich nicht mag und zu bemängeln habe, entspringt aus einer Tatsache bzw. Grundeigenschaft des Fahrzeugs. Einiges davon ist lapidar, manches kann ich durch eine entsprechende Fahrweise - die jedoch nicht meinem natürlichen Fahrgefühl entspricht - ausgleichen. Wie ich mit den Dingen umgehen soll, die mich wirklich stören, weiß ich noch nicht so genau. Sollte ich mal nach einer Probefahrt eines Modells eines x-beliebigen Herstellers der Meinung sein, dass es die CB 1100 RS gravierend übertrumpft, würde wohl ein Wechsel ins Haus stehen. Bisher (nach gut einem halben Dutzend Probefahrten NICHT zu dem Zweck, die RS zu ersetzen) ist das aber nicht nicht der Fall.
Vor zwei Tagen hatte ich eine Fahrt mit einer Harley Davidson Street Bob (Modell 2020) und bin immer noch ein wenig erschüttert darüber, wie gut mir das gefallen hat. Weil: Ich habe mich auf dem Teil direkt heimisch gefühlt und hatte ausgiebig Spaß. Es war wirklich lustig, cool und auch spannend, also sehr unterhaltsam. Ehrlich gesagt, hatte ich bis gerade eben keinen Gedanken an die Fähigkeiten von HD-Ingenieuren verschwendet. Jedenfalls, seit zwei Tagen ist eine Street Bob für mich eine Maschine, die Benzin in pures Entertainment verwandelt.
Zum Sommer hin werde ich dieses Softail-Modell nochmals antesten.
Gruß
Jörg